PROWEIN: KNACKIGE FRISCHE IM GLAS

Wein kann sich 6.000 Jahre dokumentierter Geschichte rühmen, und sein Ruf ist verwoben mit Traditionen und Mysterien. Die sich entwickelnde Erscheinung, die wir Die Neue Frische nennen, bringt neue Bewegung in die Branche, zu erfahren auf der Fachmesse ProWein vom 18.-20. März in Düsseldorf:

Junge Konsumenten führen diesen Bruch mit der Vergangenheit an, und greifen nach Weinen, deren Fokus auf Spaß und Entspannung liegt – ungestört von komplexen Ritualen und den Hierarchien, die diese Rituale bedienen. Das führt dazu, dass viele Weinproduzenten heutzutage Balance und Trinkbarkeit aktiv optimieren und dass die Eleganz aufstrebender Markenidentitäten der Wuchtigkeit vorgezogen wird. Die Neue Frische bezieht sich auf Weine, die leichter und lebhafter schmecken – und dies dank ihrer klaren Aromen, einem moderaten Alkoholgehalt, einer knackigen Säure und/oder sanfteren Tanninen.
In den vergangenen Jahrzehnten haben schon einige Propheten diese neue Richtung vorausgesagt, und 2018 werden wir deutliche Veränderungen erleben – vom Zeitpunkt der Lese über Weinbaumethoden bis hin zum Marketing. Das Ergebnis ist ein deutlich authentischerer Ausdruck der Rebsorte/n und vermittelt in vielen Fällen auch eine klarere Vorstellung der Herkunft – neben dem erfrischenden Geschmack. Kurz gesagt: Herkunftsregion und -kultur sind zu den zwei tragenden Säulen der Markenidentität von Weinen geworden – mit wachsendem Einfluss.
Inzwischen ist offensichtlich, dass die Trendwende der vergangenen Jahre vom konventionellen Weinbau (wo immer nötig, Chemikalien bereitwillig eingesetzt werden) hin zum ökologischen und biodynamischen Weinbau in vielen Fällen nicht nur aus Respekt der Umwelt gegenüber vollzogen wurde, sondern auch, mit dem Ziel verbunden ist, den Wein-Stil zu verändern. Ein Beispiel sind die trockenen Weine des österreichischen Produzenten Fred Loimer (Kamptal/Österreich) vom Weingut Loimer, dessen Umstellung auf den biodynamischen Anbau auch eine stilistische Veränderung zu knackigeren und gleichzeitig komplexeren Aromen mit sich brachte.
Der Wechsel zum biodynamischen Anbau, so Bernhard Ott vom gleichnamigen Weingut in Wagram/Österreich, hat den Alkoholgehalt seiner Weine der Sorte Grüner Veltliner durchschnittlich um einen Prozentpunkt gesenkt und den Säuregehalt um die entsprechende Menge gesteigert. „Mir gefallen meine neuen Weine viel besser, da sie so viel frischer und präziser sind.“ Beide Winzer sind in der Österreich-Halle der ProWein 2018 vom 18. bis 20. März (Halle 17) präsent.
Wie jeder andere wirklich globale Weintrend vor ihr ist Die Neue Frische zum Teil auch eine Reaktion auf den vorausgegangenen Mega-Trend, den wir Die Alte Wuchtigkeit nennen möchten und der vor etwas weniger als zehn Jahren seinen Höhepunkt hatte, wie wir jetzt wissen. Viel Körper und hoher Alkoholgehalt, relativ wenig Säure und die Aromen gekochter Früchte waren die Kennzeichen von Weinen, die ein lautes Statement abgaben (von denen sich oft aber schwer mehr als ein Glas trinken ließ). Diese vorgeblich hedonistischen Weine wurden von zahllosen Weinexperten, Importeuren und Konsumenten weltweit routinemäßig gepriesen. Als Die Alte Wuchtigkeit ihre Blütezeit erlebte, schien es, als könne ein neuer Wein gar nicht genug Alkohol haben, nicht zu süß schmecken oder zu intensive Holz-Aromen aufweisen. Damals schmeckten einige teure „trockene“ Rotweine, als würden sie eher in den Likörschrank gehören als auf den Esstisch.
Inzwischen hat sich die Stimmung der Weinfachleute und Konsumenten dramatisch verändert, und diese ganze Opulenz gilt als vollkommen spätes 20. Jahrhundert. Die Geschichte des neuen Stils beginnt mit Weinbauern, die im Weinberg eine gesunde Balance zwischen kräftigem Wachstum und Ertrag anstreben. Die deutsche Winzerin Gesine Roll vom Weingut Weedenborn in Rheinhessen (Halle 14, Stand A 40) berichtet, dass sie im Streben nach einem eleganten, frischen und trinkbareren Stil den Fokus im Weinberg darauf legt, vollreife – nie überreife – Beeren zu ernten. „Das gilt nicht nur für die Lese, sondern das ganze Jahr über.
Ich bin lieber einen Tag zu früh, als einen Tag zu spät. Das kann den Unterschied ausmachen.“ Das ist ein großer Unterschied zu den Tagen der Alten Wuchtigkeit, als die Rebstöcke häufig absichtlich Stress ausgesetzt wurden, um die Intensität und Konzentration der Aromen der Weine zu steigern und dadurch höhere Bewertungen einflussreicher Kritiker zu erhalten. Bei der Weinproduktion am unteren Ende der Preisskala zielte man auf hohe Erträge ab, und die Trauben wurden spät geerntet, so dass sie ausreichend gereift waren, um die reichhaltigen und damals modernen Aromen zu erzielen. Beide Strategien brachten häufig Weine hervor, die überreif und kraftlos schmeckten – das Gegenteil dessen, was die neuen Weine ausmacht. Bei der besagten Transformation der Weinbranche weltweit geht es aber um mehr als nur um die Abkehr von diesen dubiosen Produktionsmethoden.
Vielmehr beobachten wir sich schnell vollziehende parallele Veränderungen sowohl im Bereich des Marketings als auch im neuen Konsumverhalten. Die neuen Weine können getrunken werden, wenn sie auf den Markt kommen, mit oder ohne Essen genossen werden und sind ideal für die neue junge urbane Mittelklasse der BRIC-Staaten und weiterer aufstrebender Weinmärkte geeignet. Stellen Sie sich zum Vergleich einen Prius-Hybrid neben einem alten Mustang vor – eine ganz andere Nummer als die überreifen, übermäßig konzentrierten Weine der Alten Wuchtigkeit, Welten entfernt von den Konsumenten der alten Garde und ihrem statusorientierten Trinkverhalten.
Diese Reaktion auf die alte Ordnung begann kurz nach der letzten Jahrhundertwende und hat sich unaufhaltsam auf der ganzen Welt verbreitet. Die ersten Propheten der Neuen Frische schienen ein bunt gemischter Haufen von Freigeistern zu sein, besessen von Weinen aus kühl/gemäßigtem Klima von Deutschland bis Neuseeland – Regionen, deren Wachstumsbedingungen von Natur aus tendenziell leichtere und frischere Weine hervorbrachten. Dazu gehörten so unterschiedliche Produzenten wie Roland Velich vom Weingut Moric im Burgenland/Österreich, Dominik Huber von Terroir am Limit im Priorat/Katalonien und Steffen Christmann vom Weingut Christmann in der Pfalz/Deutschland (Halle 14, Stand E 30). Zunächst wurden sie zwar als Exzentriker abgetan, doch ihre Bedeutung und ihr Einfluss wuchsen, als die neue Bewegung ab 2010 schnell an Bedeutung gewann.
Fünf Jahre später erkannte man auch in der Weinbranche einiger warmer Regionen der Neuen Welt und sogar in einigen sehr warmen Regionen der Alten Welt diese Metamorphose auf dem Planet Wein, begrüßte die Veränderungen – und das kollektive Ziel verschob sich von der Alten Wuchtigkeit hin zur Neuen Frische. Einige spanische Regionen, deren Klima eigentlich als warm gilt, machen sich jetzt einen Ruf für die Vitalität und Strahlkraft ihrer Weine. Die absolute Präzision und kühle Klarheit der trockenen Weißweine der Produzenten aus der Region Rueda, wie z. B. Finca Montepedroso und Finca Caserio de Dueñas, haben einen dankenswert hohen Maßstab gesetzt.
Und die Bodegas Maranones lassen Garnacha mit frischen, strahlende Aromen neu aufleben. Der spanische Weinproduzenten Artadi, in dessen Besitz sich Weinberge in Rioja, Navarra und Valencia befinden, hat sich stilistisch neu aufgestellt, so dass Frucht und Finesse sich in den Weinen klar wiederfinden. Der neue Trend breitet sich auch in verschiedenen Regionen Australiens aus – von den traditionell kühlen Klimazonen am Margaret River/Westaustralien hin zu Mac Forbes Wines im Yarra Valley/Victoria.
Selbst im Napa Valley wenden sich die Produzenten vom opulenten Stil ab, der durch die Kult-Cabernets in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts in Mode gekommen war. All das hat Auswirkungen, die weit über die technischen Bereiche von Weinproduktion und Weinmarketing hinausgehen. In unserer heutigen globalisierten und vernetzen Welt, hat jeder Wein eine Geschichte zu erzählen. Wenn die Aromen aber zu laut oder zu üppig sind, wenn alles gleich schmeckt, verliert sich die Geschichte in all dem Lärm. Hören Sie genau hin, denn die Geschichten, die diese neuen Weine erzählen können, sind ungetrübt, unverwechselbar und vollkommen individuell.
Text: Stuart Pigott/Paula Sidore – Foto: ProWein Düsseldorf/Constanze Tillmann

 

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