PROWEIN: REBENSAFT AUS HOHEM NORDEN

Im 20. Jahrhundert galt der 50. nördliche Breitengrad als effektive nördliche Grenze des experimentellen und kommerziellen Weinbaus. Diese Grenze hat sich inzwischen weiter nach Norden verschoben – und nicht nur wegen des Klimawandels. Einige der „Nordlichter“ im Weinanbau sind auf der Fachmesse ProWein in Düsseldorf vom 18.-20. März 2018 vertreten:

Weinproduzenten verfügen heute über die entsprechende Technik, Faktoren wie Reifezeiten besser zu verstehen, und kultivieren Hybride, die besser an die strengen Verhältnisse angepasst sind – so wird der Weinbau in der Nähe des 55. nördlichen Breitengrads (England) und des 58. nördlichen Breitengrads (Dänemark) praktikabel. Wahrscheinlich geht es bald noch weiter gen Norden, zum 60. nördlichen Breitengrad (Oslo/Norwegen). Zurück in den klassischen kühlen Weinbauzonen wie Nordfrankreich und Deutschland werden inzwischen konsistent reife Jahrgänge gelesen (das in allen deutschen Weinbaugebieten in einem Jahrgang grüne Aromen weit verbreitet waren, war im Jahr 1987!) In Nordamerika wird in allen 50 Bundesstaaten kommerziell Wein produziert – selbst in den verschneiten Staaten, die wir aus Filmen und Serien wie FARGO kennen. Im Folgenden ein paar Beispiele für Regionen, in denen es inzwischen erfolgreiche Anpflanzungen gibt, obwohl man das vor nur 20 Jahren für unmöglich gehalten hätte.
ENGLAND: Weinreben respektieren geologische Grenzen eher als politische. Um die aufstrebenden Weinregionen zu verstehen, ist es daher wichtig auch genauer zu betrachten, was unter der Erdoberfläche geschieht – nicht nur darüber. Im Fall von Großbritannien formt das gleiche geologische Becken die berühmten weißen Klippen von Dover und nahegelegene Hänge in Kent und Sussex, auf denen Wein abgebaut wird, das auch der Champagne den charakteristischen kalkhaltigen Boden verleiht. Mit verbesserter Technologie und Temperaturen in Südengland, die inzwischen denen entsprechen, die in den 1980ern in der Champagne gemessen wurden, erlaubte es die längere Wachstumssaison dem Vereinigten Königreich als bedeutender Akteur auf dem Markt für Qualitätsschaumwein einzusteigen. Laut der Vereinigung der englischen Weinproduzenten, der EWP (English Wine Producers), hat das Vereinigte Königreich in den letzten 10 Jahren einen Anstieg von 135% erlebt, was die Anzahl der gepflanzten Reben betrifft (insgesamt 1821 ha), sowie einen ständigen Anstieg im Verkauf von englischem Wein – sowohl auf dem heimischen Markt als auch im Ausland.
Laut Stephen Skelton, MW und Regionalvorsitzender bei den Decanter World Awards 2017, wurden 2017 so viele Weinreben in England gepflanzt, wie in noch keinem Jahr zuvor. Während die größeren, bereits gut etablierten Akteure wie Nyetimber und Ridgeview weiterhin exzellente Premium-Schaumweine produzieren, machen sich auch eine steigende Anzahl von Neulingen einen Namen. Da sind zum Beispiel Camel Valley aus Cornwall mit von Honigaromen geprägtem Stil oder Hush Heath, die mit der floralen Intensität ihrer preisgekrönten Rosés begeistern. Oder testen Sie die breite Range von Englands größtem Winzer, Denbies Wine Estate (Halle 9, Stand B39). Und wenn Sie weitere Argumente brauchen, um sich überzeugen zu lassen: Das renommierte französische Champagnerhaus Taittinger (H12, E07–15) hat viel in englisches Land investiert (40 ha) – die ersten Reben wurden 2017 angepflanzt. Und auch andere Champagnerhäuser haben hier investiert.
POLEN: Die Weinbautradition Polens geht bis auf das 9. Jahrhundert zurück, aber die Kombination einer Reihe politischer Vorkommnisse und Naturereignisse im 18. Jahrhundert zwangen den Weinbau in die Knie. Glücklicherweise erlebt die kälteste Weinbauregion (A) der EU seit etwa den letzten zehn Jahren eine blühende Renaissance, mit hunderten Amateur-Pflanzungen und der robusten Anzahl von 197 offiziell eingetragenen kommerziellen Weingütern (verglichen mit lediglich 6 Stück im Jahr 2008). Ein großer Teil des aktuellen Erfolgs in diesem harten kontinentalen Klima kann krankheits- und frostresistenten Hybridreben wie Solaris und Seyval Blanc zugeschrieben werden, steigenden Temperaturen und der vermehrten Expertise, da Winzer und Kellermeister auf Reisen modernen Methoden der Weinproduktion in Europa und weltweit begegnen.
Es bleibt zwar noch eine Reihe von Herausforderungen – angefangen mit dem strengen Klima und den hohen Produktionskosten – es sieht aber ganz danach aus, als könnten die polnischen Weine bald aus ihrer Nische und dem Markt der Kuriositäten heraustreten, um zu einem der echten Akteure im Neuen Norden zu werden. Winnica Turnau (H15, K62) ist zum Beispiel so ein Kandidat. Der Produzent aus dem Nordwesten Polens bewirtschaftet 28 ha, vor allem Solaris und Johanniter Reben, und produziert Weine mit klarer Frucht und eleganter Harmonie. Die Produkte von Winnica Plochocki, aus dem Zentrum Polens, sind schon lange die Messlatte für das, was polnische Weine erreichen können. Und in den letzten Jahren hebt das Weingut Rebsorten und Methoden hervor, die für diese Region einzigartig sind.
DÄNEMARK: Es war das erste der skandinavischen Länder, das mit der Weinproduktion begann. Heute werden auf über 100 Weinbergen frostresistente Hybriden wie Cabernet Cortis, deren Beeren eine besonders dunkle Schale haben, und die nach Blaubeeren duftende Sorte Rondo angebaut. Oernberg in Sjaelland produziert zum Beispiel meisterhafte Süßweine, die häufig mit deutschen Auslesen verglichen werden, sowie trockenen und sehr kräftige Weine der Rebsorte Solaris, mit den Aromen tropischer Früchte. Um das Konzept eines Neuen Nordens zu akzeptieren, muss man traditionellen Annahmen jedoch mit einer gewissen Offenheit gegenüberstehen – angefangen mit der Grunddefinition von Wein an sich. In Dänemark und den anderen skandinavischen Ländern hat man sich traditionell auf die Produktion fruchtbasierter Weine konzentriert und in den vergangenen 15 Jahren ist daraus eine beeindruckende neue Gattung entstanden.
Obstwein von der Cold Hand Winery (H7, D15) zeigen zum Beispiel regelmäßig Raffinesse und Balance mit einem erkennbaren dänischen Stil. „Es wird noch viel passieren“ sagt Billy Wagner, Eigentümer von Nobelhart & Schmutzig (1 Michelin Stern) und seit erster Stunde Befürworter eines neuen Zeitalters der Obstweine. Das liege größtenteils daran, dass „es sich so landwirtschaftlich wieder lohnen kann. Durch die Veredlung wird nicht nur das Gut Traube, sondern auch Rharbarber, Quitte, Apfel, Kirsche, Birne mit Achtung vor Historie und Landschaft hochwertig angebaut.“
Die Auswirkungen beschränken sich nicht nur auf Europa. Länder, in denen es möglich ist, Weinberge immer näher Richtung Polarkreis anzupflanzen, etwa Chile, Argentinien und Neuseeland, scheinen zu den Hauptgewinnern des Klimawandels zu gehören. Und die Länder, in denen das nicht möglich ist, wie zum Beispiel Südafrika, werden sich in den nächsten Jahren ernsthaften Herausforderungen gegenüber sehen. Es ist kein Zufall, dass kühlere Ecken von Regionen wie der Côte Chalonnaise im Burgund/Frankreich (Domaine Faiveley (H11 / J36) und die Saar im Weinbaugebiet Mosel/Deutschland (Weingut Van Volxem (H13 / C110) in aktuellen Jahrgängen wie 2015 und 2016 hervorragende Ergebnisse erzielen konnten, in denen gute Reife und herausragende Qualität der Trauben die grünen Aromen und herbe (Apfel-)Säure ersetzen, die noch eine Generation zuvor gang und gäbe waren.
Allerdings wird der Aufstieg des Neuen Nordens im Alten Süden durch eine Krise gespiegelt. Traditionell warme Weinbauregionen wie Bordeaux und Chianti werden in den kommenden Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit mit Dürre und himmelhohen Alkoholwerten zu kämpfen haben und nicht länger mit zu geringen Reifegraden, wie noch vor 40 Jahren und davor. Für „heiße“ Regionen wie La Mancha in Spanien besteht die Gefahr, dass der Weinbau dort nicht überleben kann – sowohl aufgrund des Klimawandels als auch veränderten Marktanforderungen (die Nachfrage nach billigen trockenen Weißweinen der Sorte Airen ist stark zurückgegangen). Man muss sich mit temperaturresistenten Rebsorten anpassen – oder man hat verloren.
Foto: ProWein Düsseldorf/Constanze Tillmann

 

 

   Sende Artikel als PDF   

Kommentare sind geschlossen.