GIESINGER BRÄU: DER DAVID UNTER DEN MÜNCHNER BIER-GOLIATHS

München gilt als die deutsche Bier-Hauptstadt schlechthin. Auch passionierte Weintrinker greifen da zum Gerstensaft, und dies nicht nur beim Oktoberfest. Im Konzert der Großkopferten unter den Brauereien spielt der Giesinger Bräu als „Craft beer“-Produzent mit Chef Steffen Marx (Foto) den David unter den Goliaths der Branche:

Die doppelstöckige Bräustube in der Obergiesinger Martin-Luther-Straße ist zum Szene-Treff für Biertrinker geworden, die neu eröffnete Schänke empfängt heute die Food-und Szene-Blogger. Über den Tischen hängen Lampen in alten Bierflaschen. Die Bedienungen liefern Bier und Brotzeitplatten an die Tische. Die Stimmung ist gut. Giesinger Bräu: Ein Lifestyle-Produkt, das nichts mit dem angestaubten Image von Industrie-Bieren zu tun hat. Der Spiritus rector und Macher dahinter: Steffen Marx, der vor zehn  Jahren sprichwörtlich mit dem Garagen-Kozept begonnen hat.
Kein Bier von der Stange: Handwerklicher Gerstensaft aus Giesing.
Eine kleine verschworene Gmeinschaft um Marx glaubte daran, ein „neues, frisches Bier mit Charakter“ erschaffen zu können und fing an, in einer Giesinger Hinterhofgarage von 50 Quadratmetern zu brauen. Das Ziel: Dem Bier eine neue Identität geben, ohne dabei die traditionelle zu verlieren. Über die Jahre baut Marx sich eine solide Giesinger Fan-Gemeinschaft auf, 2008 gründet er mit der Giesinger Biermanufaktur und Spezialitätenbraugesellschaft mbH ganz offiziell eine Brauerei in der Birkenstraße. Es ist die erste Brauereigründung in München seit Jahren. Schnell hatten die Newcomer Erfolg, das Craft-Bier verkaufte sich gut. In zehn Jahren ist Giesinger Bräu inzwischen zu einem Unternehmen mit 32 Mitarbeitern geworden. Pro Jahr werden rund 1,2 Millionen Liter Bier ausgeschenkt. 14 verschiedene Sorten werden inzwischen angeboten. Im Stadtteil ist die Brauerei mittlerweile eine Institution. Giesinger Bräu, das ist mittlerweile genauso Tradition in Giesing wie der 1860 München.
Neues gastronomisches Angebot des Giesinger Bräu: Die Schänke.
Marx ist auch deshalb erfolgreich, wie er glaubt, weil sein naturtrübes Kellerbier, das von Beginn an „Giesinger Erhellung“ hieß, aber doch ein ganz anders Bier war, als es heute ist, teurer war als das Bier der großen Münchner Brauereien. „Wir sind so groß geworden, weil wir rechnen können“, sagt der Brauereichef. „Ein Euro für eine Flasche handgemachtes Bier, das muss doch drin sein.“ Giesinger Bräu ist auch ein erfolgreiches Crowdfunding Projekt: 5 Millionen Euro kostete der Umbau der Location. 10 Prozent kamen aus einer sehr erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne. In relativ kurzer Zeit hat Marx 1.000 Leute zusammen, die im Schnitt pro Kopf 700 Euro stiften. Dafür bekommen sie 8 Prozent Zinsen, die in der Giesinger Wirtschaft verzehrt werden können. Den Rest der Kosten übernimmt zur Hälfte die Bank, die andere Hälfte sei Eigenkapital. Im November 2014 eröffnet Steffen Marx das neue Giesinger Bräu.
Kirche und Bier gehören beim Giesinger Bräu zusammen.
Der Verein der Münchner Brauereien ist ein mächtiges Gremium. Nach dessen Verständnis dürfen sich nur sechs Brauereien als Münchner Bier bezeichnen. Es sind genau die Bier-Produzenten, die auf dem Oktoberfest ausgeschenkt werden: Hofbräu, Augustiner, Löwenbräu, Spaten, Paulaner und Hacker Pschorr. Die Bier-Goliaths haben Kriterien vorgeschrieben, die die Brauereien erfüllen müssen, um Mitglied zu werden. Früher mussten sie dafür nur auf Münchens Boden stehen und das Reinheitsgebot befolgen. Doch inzwischen wurden die Voraussetzungen verschärft: etwa ein 140 Meter tiefer Brunnen, der gebohrt werden muss. Denn nur wenn das Wasser aus dem Grund unter München kommt, darf das Bier offiziell „Münchner Bier“ heissen.
Eines von derzeit 14 „Craft“-Beers aus dem Münchner Stadtteil.
Die Zukunft für Giesinger Bräu ist bereits in greifbarer Nähe. In Milbertshofen entsteht derzeit die neue Bier-Produktionsstätte. Es war höchste Zeit für die voll leistungsfähige Brauerei – bisher musste im Erdinger Moos abgefüllt werden. Zudem reichten die 10.000 Hektoliter, die dort jährlich gebraut werden, nicht für die Nachfrage. „Wir wollen hier rund 20.000 Hektoliter brauen, möglich sind hier aber bis zu 40.000 Hektoliter“, so Marx. Rund 14 Biere sind das derzeit – „für 25 bis 30 habe er genug Rezepte in der Hinterhand“, erzählt Marx. Und natürlich soll der Brunnen gebohrt werden. Für all diese Zukunftspläne muss freilich erst einmal die neue Brauerei stehen. Dann kann Steffen Marx ab Januar 2020 mit dem Brauen beginnen.
Fotos – Text: Klaus Feldkeller

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