PROWEIN: EIN PROSIT AUF DIE REGIONALITÄT

Vor nicht allzu langer Zeit galt „importiert“ als Synonym von „besser“ und das Renommee von Winzern und Weinproduzenten wurde danach beurteilt, ob und in wie fern deren Chardonnay, Cabernet Sauvignon oder Merlot ein paar international etablierten und anerkannten Maßstäben entsprachen: Das war einmal. Die Fachmesse ProWein in Düsseldorf zeigt vom 18. bis 20. März 2018 die Vielfalt der Welt des Weines:

Der wachsende Trend in der Kultur von Lebensmitteln und Wein hin zu Individualität und Geschichte, vielleicht auch die Tatsache, dass die Konsumenten es satt hatten, immer wieder die gleichen, langweiligen Weine zu kosten, die sich nur in der Farbe ihrer Verpackung unterschieden, führten zu Veränderungen. Irgendwann reichte es nicht mehr aus, einfach nur ein weiterer Chardonnay zu sein. Statt nach der „optimierten“ Version eines globalen Stils, fragten die Konsumenten nun eher nach Weinen mit einer „authentischen“ Identität, deren Ursprung in ihrem Herkunftsort liegt.
Die beeindruckende und gefeierte Vielfältigkeit des Planeten Wein wird auf der ProWein 2018 deutlicher als jemals zuvor. Regionalität ist für alle,  von den größten Marken einmal abgesehen, essentiell, und „regional“ gilt als cool und hip. Die Neue Frische animiert nicht nur zu klaren, knackigen Aromen, sondern hebt auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Rebsorten und Regionen hervor. Als Reaktion auf die Wünsche der Konsumenten und den durch das Klima verursachten Druck haben die Winzer begonnen, vergessene Rebsorten und Weinbaumethoden wieder zu entdecken.
Die 13 international wichtigsten Rebsorten machen zwar immer noch ein Drittel aller Pflanzungen auf „Planet Wein“ aus (an der Spitze die beeindruckenden 9 Prozent Rebfläche, die von Cabernet Sauvignon eingenommen werden), das Interesse an alten und autochthonen Rebsorten wächst jedoch weiterhin. Beispiele sind rund um den Globus in jedem Weinbaugebiet zu beobachten: von Italien (Frappato, Teroldego) nach Portugal (Boal, Bastardo), in die Vereinigten Staaten (Petit Sirah) und bis nach Argentinien (Torrontés). Wo man bei den renommiertesten Rebsorten geblieben ist, wird verstärkt mit regionalen Klonen gearbeitet, die entsprechend ihrer Kompatibilität mit den jeweiligen Wachstums Bedingungen ausgewählt werden.
Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Mal wird eine neue Leichtigkeit angepeilt, mal sollen die regionalen Unterschiede betont werden, damit die Weine nicht austauschbar sind mit denen von dutzenden in Konkurrenz stehenden Regionen auf dem „Planet Wein“ – und mal geht es einfach darum, mit Rebsorten zu arbeiten, die weniger krankheitsanfällig sind und dafür den Herausforderungen des Klimawandels besser gewappnet. Der rote Faden: Immer mehr Winzer bauen wieder Rebsorten an, die in der Vergangenheit zugunsten einer Handvoll internationaler Klischees gerodet wurden.
Sehen wir uns das Beispiel der Renaissance von Chenin Blanc an: Einst von Winzern als Rebsorte verachtet, die zwar hohe Erträge erbringt, ansonsten jedoch relativ glanzloses Gesöff produziert, ist sie aktuell der Liebling der Branche im Premium-Wein-Segment — von Schaumweinen über knochentrockene zu honigsüßen Weinen. Antrieb für das weltweite Revival dieser Traube war der Doppel-Generator aus Südafrika und dem französischem Weinbaugebiet Loire. In Südafrika profitierte Chenin Blanc vom Erfindungsreichtum südafrikanischer Weinproduzenten wie Chris Mullineux (Halle 13, Stand F 33) und Eben Sadie und Avondale Wines (Halle 9, Stand B 28), die damit anfingen, komplexe trockene Weine von alten Reben aus Buscherziehung zu produzieren. In der Alten Welt, wie beispielsweise im Loiretal, eröffnete man neue stilistische Möglichkeiten durch (Retro-)Innovationen, siehe zum Beispiel die Naturwein-Bewegung, angeführt von Koryphäen wie Domaine Chavet (Halle 11, Stand D 99) und Nicolas Joly.
Die steigende Wertschätzung von Authentizität und Einzigartigkeit öffnete außerdem Stilen und Rebsorten die Türen, die vorher als zu leicht oder zu unvorhersehbar galten. Lange hatte zum Beispiel Beaujolais keine Chance, mit dem Volumen und der Wucht vieler kalifornischer Cabs mitzuhalten. Auch galt Gamay als schwarzes Schaf des Burgund und wurde neben dem noblen Pinot Noir als von Natur aus minderwertig angesehen. Doch was Gamay an Kraft fehlt, kann die Rebsorte in Finesse wettmachen. Mit Erdbeernoten, klarer Säure, sanften Tanninen und unverkennbaren Terroirs, erleben Beaujolais Cru-Weine derzeit ein Comeback. Aktuelle Exportzahlen, herausgegeben von Inter Beaujolais, belegen einen Volumenanstieg von über 30 Prozent — alleine die Exporte in die USA haben sich in den letzten zwei Jahren verdoppelt.
Die Weine der Region bieten die Dreifaltigkeit dessen, was bei modernen Somms ankommt: Originalität, Geschichte und Wert. Und mit zehn individuellen Crus bietet jedes Terroir — wie im Rest des Burgund hoch geschätzt! — seine einzigartige Interpretation dieser ausdrucksstarken Rebsorte. Siehe zum Beispiel den klassischen Cru-Charakter von Maison Louis Latour (Halle 11, Stand E 59) oder die seidige Struktur des Lagenweins von alten Reben der Domaine Pardon et Fils (Halle 11, Stand E 92).
Das gesamte Sortiment bei Inter Beaujolais (Halle 11, Stand E 80) bietet in der Hinsicht Spannendes. Von Nord nach Süd, von Granit zu Lehm — die Region liefert einzigartige Weine, die Tiefe, Frische, Mineralität und Reifepotenzial bieten. Ein wesentlicher Bestandteil der Produktion vorhersehbarer Weine war, dass Individualität und Regionalcharakter als unangenehmes Problem gesehen wurden, das es zu lösen galt. Die Produzenten von Naturweinen drehen diesen Spieß um und ziehen die wiederentdeckten Weinbau- und Produktionsmethoden ihrer Vorfahren vor. Zu den offensichtlichsten Beispielen hierfür gehört die Abwendung von kleinen Barriques und die erneute Zuwendung zum Einsatz größerer Eichenfässer mit nur geringem bzw. keinem Anteil an neuem Holz — eine Bewegung, die selbst traditionsreiche Regionen wie die Toscana erreicht hat.
„Das Fass soll unterstützen und bereichern, darf aber kaum spürbar sein. Die Frucht des Weins muss immer im Vordergrund bleiben“, sagt Judith Beck vom Weingut Beck im Burgenland, Österreich (Halle 17, Stand A 01). Weitere Echos dieser Bewegung hin zur „natürlichen“ Weinproduktion klingen in der Wiederbelebung regionaler Methoden durch das Weingut Khareba (Halle 15, Stand G 47) in Georgien wider, wo mit Kvevri (traditionellen Tongefäßen) gearbeitet wird, und dem Bio- und Terassenanbau von Simcic Marjan (Halle 15, Stand D 82) aus Brda, Slowenien.
Auf dem gesamten „Planet Wein“ wird die Rückkehr zu Weinbaumethoden, die ein unverkennbares Geschmacksprofil der regionalen Charakteristiken begünstigen, häufig von der jüngeren Generation angeführt — von denen, die aus erster Hand viel mehr internationale Erfahrungen sammeln konnten als die Generationen zuvor. Die Tradition dem Trend vorzuziehen, entsteht möglicherweise aus dem Wunsch, gut mit dem Terroir umzugehen, und die minimalistischen Eingriffe im Keller, die hier bevorzugt werden, offenbaren viel mehr Eigenheiten im fertigen Wein. Auch die gut durchdachten Marketing-Strategien dieser Generation, Eigenarten und Geschichte ihrer Produkte zu feiern (und zu verkaufen!) mag hier eine Rolle spielen. Das Endergebnis ist zum Glück das gleiche: Terroir UND Kunden werden gut behandelt mit Weinen, die alles andere sind als austauschbar.
Text: Stuart Pigott/Paula Sidore – Fotos: ProWein Düsseldorf/Constanze Tillmann

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